KLINGE AUS OBSIDIAN

Auf den Seiten der Zeitschrift Kurier Kamieniarski haben wir wiederholt das Thema der unkonventionellen Verwendung von Stein diskutiert. Nach Steinwerkzeugen und Steinpapier ist es Zeit für die nächste Fortsetzung unserer Serie. Diesmal wollen wir uns das Phänomen der Steinwaffen genauer ansehen, und zwar die Obsidianschwerter aus Mittelamerika, Macuahuitl genannt.

Um den Zweck und die Bedeutung dieser Waffe zu verstehen, müssen wir zunächst über die Kultur und Zivilisation der alten Azteken sprechen, die einst das heutige Mexiko bewohnten. Sie hatten bis zum frühen 16. Jahrhundert keinen Kontakt mit Europäern, so dass sich ihre Zivilisation völlig unabhängig von der unseren entwickelte. Abgesehen von den offensichtlichen kulturellen Unterschieden gab es auch erhebliche Unterschiede im Grad des erreichten technologischen Fortschritts. Trotz ihrer unglaublichen astronomischen Kenntnisse, ihrer hoch entwickelten Kunst und ihrer Fähigkeit, Pyramiden zu bauen, beherrschten die Azteken die Kunst der Metallurgie nie ganz. Infolgedessen waren sie nicht in der Lage, Eisenschwerter oder Rüstungen herzustellen, die zu dieser Zeit in Europa weit verbreitet waren. Die Azteken kannten sich jedoch sehr mit der Verarbeitung anderer Rohstoffe aus, die in ihrem Gebiet zu dieser Zeit vorkamen.

Obsidian – in der Nahuatl-Sprache Itztli genannt – ist ein vulkanisches Gestein, das durch das Abkühlen von Magma entstanden ist. Je nach Art der Lava gibt es viele Arten dieses Gesteins, die sich in ihrer chemischen Zusammensetzung voneinander unterscheiden. Brauner oder schwarzer Obsidian ist am weitesten verbreitet, aber es gibt auch andere Arten. Es ist relativ leicht zu verarbeiten, was wahrscheinlich der Grund für seine große Beliebtheit bei den mittelamerikanischen Völkern war. Die Azteken nutzten Obsidian nicht nur zur Herstellung von Klingen und Pfeilspitzen, sondern auch für Ornamente, Skulpturen und andere Alltagsgegenstände. Einige Wissenschaftler sind der Meinung, dass seine Rolle in den mittelamerikanischen Gesellschaften mit der Rolle des Stahls in der europäischen Kultur verglichen werden kann.

Die berühmteste beschriebene aztekische Waffe ist das Macuahuitl. Was seine Funktion im Kampf angeht, kann man es mit einem Schwert vergleichen, aber es sah aus wie ein flacher Streitkolben. In einen Holzschläger wurden mehrere sehr scharfe Obsidianstücke eingelassen, die hier übereinander geklebt wurden, um eine Schneidefläche zu bilden. Das durchschnittliche Macuahuitl war zwischen 90 und 120 cm lang, aber es gab auch kürzere oder längere Exemplare, die sogar die Größe eines erwachsenen Menschen erreichten. Je nach Größe kann es sich um eine einhändige (macahuitl) oder zweihändige (macuahuitlzoctli) Waffe handeln.

Glaubt man den spanischen Chronisten, so konnte ein erfahrener aztekischer Krieger ein Pferd mit einem einzigen kräftigen Schlag enthaupten. Es war eine sehr wirksame Waffe, aber sie hatte auch ihre Nachteile. Trotz ihrer Schärfe waren die Obsidianstücke sehr zerbrechlich. Wenn sie mit den Schwertern und Rüstungen der Spanier zusammenstießen, zerbrachen sie oft oder wurden stumpf, was ihre Wirksamkeit stark beeinträchtigte. Über die Lebensdauer  dieser Waffen sind sich die Gelehrten uneins. Manche halten das Macuahuitl für eine reine Wegwerfwaffe, andere glauben, dass die sehr solide Bauweise und der spezifische Kampfstil der aztekischen Krieger einen effektiven Kampf über einen langen Zeitraum hinweg ermöglichten. Darüber hinaus war das Macuahuitl aufgrund seines höheren Gewichts eine schwerfälligere und damit langsamere Waffe als das Schwert. In einer beliebten Fernsehsendung versuchten die Teilnehmer, die Behauptung zu widerlegen, dass es möglich sei, ein Pferd mit einem einzigen Schlag zu enthaupten. Zur Durchführung des Experiments wurde ein lebensgroßer Abguss eines Pferdekopfes angefertigt. Es wurde aus ballistischem Gel hergestellt, das in seiner Dichte dem tierischen Gewebe sehr ähnlich ist. Es stimmt, dass der Kopf des Pferdes nicht mit einem einzigen Schlag abgetrennt werden konnte, aber das lag wahrscheinlich nur daran, dass das für diesen Zweck hergestellte Makuahuitl nicht scharf genug war. 

Leider ist bis heute kein einziges Exemplar dieser Waffe erhalten geblieben. Das letzte echte Macuahuitl wurde 1884 bei einem Brand in der Waffenkammer des Königspalastes in Madrid zerstört. Alles, was wir über diese Waffe wissen, beruht auf Beschreibungen und Gravuren. Auf dieser Grundlage wurden zahlreiche Versuche unternommen, das Macuahuitl zu rekonstruieren und seine Fähigkeiten zu testen.

Die Azteken benutzten auch andere Waffen wie Äxte (Tepoztli) oder Speere (Atlatl), aber das Macuahuitl war dasjenige, das am meisten Furcht und Neugier weckte. Es wurde nicht nur im Kampf, sondern wahrscheinlich auch für rituelle Zwecke verwendet. Die Eroberung Mittelamerikas durch die Spanier bedeutete das Ende der aztekischen Zivilisation, doch dank der erhaltenen Berichte und der Neugier der Forscher ist das Wissen um diese erstaunliche Waffe bis heute erhalten geblieben.

Quelle: Kurier Kamieniarski

Autor: Jakub Zdańkowski | Publiziert: 22.12. 2015

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